Montag, 3. Oktober 2005

Unmögliche Helden :: Uebermensch ueber Alles

Helden, die mehr als nur ein Stirnrunzeln hervorrufen. Kein Traum! Keine Täuschung! Erfindungslust, die Amok läuft. / Eine lose Serie von Kurzartikeln. Teil 2, zum Tag der Deutschen Einheit 2005

Spätestens mit dem Eintritt der Vereinigten Staaten in den weiten Weltkrieg 1942 trat innerhalb der in hellen Grundfarben gekleideten Superheldenfiguren der Untertypus des „Patriotischen Helden“ hervor, eine Gestalt, die sich weniger durch außergewöhnliche Fähigkeiten oder Charakterzüge hervortat, sondern durch sein auf der nationalen Ikonographie basierendes Design. Während die Kernessenz dieses Typus, auch durch das von Jack Kirby kongenial entworfene Kostüme, durch die Figur des Captain America verkörpert wird, der auch heute noch im Einsatz ist, gab es zur Zeit des Weltkrieges eine erstaunliche Anzahl ähnlicher oder verwandter Gestalten, in denen sich ein proaktiver bzw. aggressiver Patriotismus manifestierte.

Die amerikanische Fahne (Stars’n’Stripes) erwachte in einer Legion von blau-weiß-roten Heroen zum Leben: The Starspangled Kid & Stripesy! The Patriot! The Shield! Captain America! Miss America! Americommando! Red, White and Blue! Spirit of 76! Selbst Wonder Woman hat patriotische Hotpants!

Aber auch andere nationale Ikonen konnten als Rohmaterial für patriotische Designs genutzt werden. Die Freiheitsglocke von Philadelphia gab Liberty Belle den Namen, und selbst das bekannte Plakat der U.S.Army erwachte als Uncle Sam zum Leben!

Dies mag dem distinguierten Mitteleuropäer reichlich platt und vulgär erscheinen, der sich am Odem seiner jahrtausendealten Historie erfreut, in Amerika jedoch, das sich vielmehr als andere Staaten durch seine vergleichsweise junge Geschichte Identität verleiht und diese auch feiert, ist dies nur ein Ausdruck „gesunden Patriotismus“ auf Seiten der Autoren. Man darf auch nicht vergessen, dass die „One Nation under God“ nicht äquivalent mit einer Ethnie ist, seinem Nationalismus also auch die völkische oder rassistische Qualität fehlen dassmuss, die sich beim Auftreten nationaler Begeisterung in anderen Ländern immer gerne einschleicht. Es bleibt hier selbstverständlich unausgesprochen verstanden, daß dies in der Verfassung der U.S.A. verankerte Prinzip in Teilen der Südstaaten und anderen unterentwickelten Landstrichen immer wieder gerne nur auf einen Teilabschnitt der Bevölkerung angewandt wird.

Hier spielt sich die völkische Entrüstung und der Rassenkampf dann statt auf fernen Schlachtfeldern in den brennenden Ghettos ab, und statt Eroberung- herrscht der Bürgerkrieg. Es ist vielleicht kein Wunder, dass neben der perfiden Rothaut vor allem der ‚Gangster’ der Hauptantagonist innerhalb der amerikanischen Genreliteratur ist – jener Teil der Bevölkerung, der sich dem organisierenden Prinzip der Verfassung in die Halbwelt des organisierten Verbrechens entzogen hat, der kein Bürger mehr ist, sondern Teil dessen, was man in den 30ern den ‚Mob’ nannte.

Das Konzept des kostümierten Patrioten ist ein typisch amerikanisches, das heißt ein falsches, löst man es aus seinem kulturellen Kontext. Seine Übertragung auf andere Nationen ist eine Injektion ‚artfremder’ Ideen, und kann bestenfalls eine Art kognitiver Dissonanz erzeugen. Natürlich, jede Nation könnte einen unabhängigen Wächter der Freiheit und Verteidiger des nationalen Ideals gebrauchen, unabhängig von Staat und Armee, einen heiligen Golem, der die Armen und Unterdrückten vor Übergriffen schützt. Aber ist dies außerhalb der amerikanischen Konzeption von Nation auch nur im Ansatz realisierbar?

In einem bekannten Cartoon stellt Walter Moers, der Erfinder von Kapitän Blaubär, dem normalgroßen Captain Amerika einen daumenhohen Captain Liechtenstein zur Seite. Natürlich. Wenn das eine, warum nicht das andere? Der Autor dieser Zeilen hat als Fünfjähriger auch ganze Hefte mit Variationen von nationalen Captains vollgemalt, genug für einen ganzen Internationalen Kongress der Superhelden. Warum nicht ein Captain dass? Hier würden sich durchaus eine Anzahl von interessanten Möglichkeiten ergeben, dies Konzept weiter auszureizen. Doch wo beginnen, wo aufhören? Was ist ein Staat, was eine Nation? Zählen auch Stadtstaaten? Kann dies amerikanische Modell des Patriotismus übertragen zu werden, ohne daß die gerade in der Genreliteratur so beliebten rassischen und nationalen Klischees mitexportiert werden? Wären die Franzosen über einen von amerikanischen Autoren erfundenen Nationalhelden namens „Tricolore Man“ glücklich? Die Iren über jemanden namens „Shamrock“? Die ‚Araber’ über jemanden namens „Arabian Knight“ (komplett mit fliegendem Teppich)? Marvel Comics hat bereits eine Parallelbildung zu ihrem seit 50 Jahren unverwüstlichen amerikanischen Captain in „Captain Britain“ erschaffen. „Great Britain“ ist aber auch das “United Kingdom”, es besteht eigentlich aus mehreren Nationen. Warum also nicht Captain Scotland und Captain Wales? Oder Captain Nordirland?

Gnädigerweise hat man bisher darauf verzichtet, auch nur einen Aspekt der politischen oder ideologischen Problematiken internationalen Nationalismus zu thematisieren – das Bild des Helden, ob patriotisch oder nicht, verträgt sich nicht gut mit Realpolitik. Der „patriotische Held“ bewegt sich nicht in einer authentischen Landkarte internationaler Beziehungen, sondern in der teils naiven, teils grotesken Traumlandschaft, als die Welt von der teils naiven, teils grotesken Imagination von Comic Book-Autoren wahrgenommen wird.

“Hauptmann Deutschland” erschien das erste Mal, noch ohne Namen und in Verkleidung, in CAPTAIN AMERICA Vol. I, No. 387 (Juli 1991), wo er die Organisation des seit den 40er Jahren agierenden Super-Nazis Red Skull („Der Rote Schädel“) infiltriert hatte – der ideologischen Nemesis von Captain America. Im folgenden Heft gelang es ihm, den Red Skull gefangen zu nehmen, und in No. 389 erschien er zum ersten Mal in Uniform, die recht uninspiriert das Grunddesign der von Captain America kopierte, mit der Ausnahme, daß das Schwarz-Rot-Gold der bundesdeutschen Flagge ein weitaus uninteressanteres Design ergab als das Blau-Weiß-Rot mit Sternen und Streifen der amerikanischen.

Allein hier schon wird deutlich, daß es sich bei diesem Charakter weniger um eine Neuschöpfung als eine Parallelbildung handelt; ein Captain America für Deutschland. Dass diese Grundidee auf mehr als einem Beine hinkt, sollte für jeden klar ersichtlich sein.

Allein, die Idee eines deutschen Helden in einem amerikanischen Magazin mag ja keine schlechte sein, beweist sie doch wenigstens einen gewissen Grad der Offenheit gegenüber dem einstweiligen Verbündeten. (Sein Erfinder, der verstorbene doch unvergessene Mark Gruenwald soll auf der Frankfurter Buchmesse einmal geäußert haben, daß er den Hauptmann aus „Freude über die Wiedervereinigung“ erfunden habe.) Und daß der ehrenwerte Hauptmann bei seinen ersten Auftritten doch recht kompetent daherkommt und die Züge des Red Skull voraussieht, ihn in fallen laufen lässt und im Grunde etwas schafft, was seinem Hauptfeind nie gelungen ist, mag vielleicht darauf hindeuten, daß es sich bei dem projektierten deutschen Nationalhelden um einen fähigeren Charakter handelt, als es sein doch recht generisches Design vermuten lässt.

Bis zu diesem Punkt mag dies richtig sein, und man hätte vielleicht mit dieser Gestalt durchaus etwas machen können, wenn man ihn in die Hände eines autochthonen Autorenteams übergeben hätte – oder zumindest in die Hände von Autoren, die ein wenig besser mit den deutschen Gegebenheiten vertraut waren als der gewiss wohlmeinende Mr. Gruenwald, der aus der typisch amerikanischen Unkenntnis internationaler Gepflogenheiten heraus die Figur leider unrettbar in den Keller fuhr.

„Hauptmann Deutschland“, so erfahren wir, ist nur einer aus einem Team deutscher Superhelden, die den eher unwahrscheinlichen Namen „Schutzheiliggruppe“ führt. Die anderen Mitglieder dieser „Group of protecting saints“ nennen sich „Zeitgeist“ (Time Spirit) und „Blitzkrieger“ (Lightning Warrior).


Bereits hier treten dem deutschsprachigen Leser die Tränen in die Augen, er schließt sie erschüttert, wenn er erfährt, daß die gelungene Festnahme des Red Skull und all seiner Hauptschergen nur deswegen erfolgte, weil man ihn nach einem flotten (Schein-)Prozess auf dem schnellsten Wege hinrichten will, um „die Sünden der Vergangenheit des Vereinten Deutschlands zu exorzieren“ (siehe Bild.)

Ab hier hat das Konzept jegliche Glaubwürdigkeit verloren und bricht auch schnell in sich zusammen, da es dem Skull relativ einfach gelingt zu fliehen und die Deutschen dastehen lässt wie recht naive oder dümmliche Volltrottel. (Ein Captain America-Doppelgänger taucht auf und nimmt ihn sagen wir mal in Schutzhaft, ohne daß auch nur ein Finger gerührt wird, ihn zu hindern bzw. Nach Formalitäten zu fragen. Seufz.)

Konnte eine so eklatante Parallelbildung wie Hauptmann Deutschland überhaupt erfolgreicher sein als sein Vorbild, Captain America? Es hätte sicherlich einen schweren Bruch der Kontinuität und auch der genretypischen Regeln bedeutet, hätte er im Alleingang das erreicht, was C.A. in 50 Jahren nicht geschafft hat.

Es hätte allerdings auch die Bewältigung eines genretypischen Stereotyps bedeutet, nämlich der Gleichung Deutscher = Nazi. Dass dies nicht gelang, unterstreicht gleichzeitig auch das Unvermögen, einem Angehörigen einer anderen (fremden) Nationalität nicht nur Kompetenz, sondern sogar Überlegenheit zuzuschreiben. Thematisch passt dies z.b. recht gut zu dem fast zeitgleich von DC lancierten Titel JUSTICE LEAGUE EUROPE, dessen Team in Paris ansässig war, und dem zumindest am Anfang kein einziger Europäer angehörte.

Der erste nationale Held des demokratischen Deutschland als Parallelbildung und bestenfalls blasse Kopie eines anderen Wächters der Freiheit hat nicht einmal eine eigenständige Geschichte, er ist eine Nebenfigur neben Captain America, dessen Kontinuität die seine aufgesogen hat, wie um zu unterstreichen, wer hier auf Erden unter den demokratischen Kräften die Oberhoheit hat. Ein „Hauptmann“ der deutschen Armee ist nun mal weniger als ein „Captain“. Als solches kann man diese Figur sogar als einen metatextuellen Kommentar auf das Verhältnis der Vereinigten Staaten zu allen anderen Staaten, vor allem aber zu seinen Verbündeten, ansehen.

Eine solche Deutung, und auch die Unstimmigkeiten der Namensgebung, wurden auch dem Autoren von Hauptmann Deutschland vorgetragen, und er ließ ihn ein zweites Mal, in einer korrigierten Form innerhalb der Captain America-Serie auftreten (CAPTAIN AMERICA No.442, August 1995). Man gab ihm sogar einen anderen Namen, damit er sich etwas von seiner Gussform abheben konnte. Wahrscheinlich nahm man sich ein deutsches Wörterbuch und suchte nach einem Wort für „guardian“ oder „sentinel“. Da „Wächter“ jedoch komisch aussieht – diese lästigen deutschen Ümlaute – nahm man die andere Alternative.

Man nannte ihn Vormund“.

Seitdem ist er nie wieder gesehen worden.

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